Am Zeiger der Kirchturmuhr hängt ein langer Eiszapfen, er zeigt die Zwischenzeit an.
David Crosby ist gestorben, er hat Musik hinterlassen.
Auch mein Vater hat Lieder hinterlassen. Er hat sich das Spielen auf der diatonischen Zugharmonie (Ziehharmonika) selber beigebracht und er beherrschte es virtuos, auf seine unnachahmliche Art und Weise. Manchmal, wenn es ganz still ist außen und innen, höre ich ihn, die schnarrenden Bässe, die ich so liebte und den Satz: Das mußt du dir anhören, ich hab ein neues Stückl gelernt. Der einzige Grund, warum er Musik machte: es gehörte zu seiner Existenz, wie die Luft zum Schnaufen und die Berge zum Anschauen. Er spielte aus Lust am Spielen und da war immer diese Freude an Harmonien und den Klängen … auch das Üben war ihm Freude. Er brauchte kein Publikum und keinen Applaus und meistens spielte er umsonst, und die Musik und er sind zu einem einzigen Klangkörper der Freude verschmolzen.
Meine Mutter hat den Klang ihres Lachens hinterlassen. An sie kann ich mich kaum mehr erinnern, aber manchmal höre ich ihr Lachen, es hörte sich an wie Perlen, die über den Tisch rollen.
Ich schaue mir unendlich viele Konzertausschnitte an mit David Crosby, solo oder in Zusammenspiel mit anderen Musikern, den besten und virtuosesten, die man sich nur vorstellen kann, alle standen mit ihm auf der Bühne. Und er schien sich nie hervorzutun, reihte sich stets bescheiden ein, ließ anderen den Vortritt und war doch immer der Mittelpunkt, um den sich alles drehte. All die Jahre stand er da mit der Gitarre, und wenn er nicht spielte, hatte er die Hände in den Hosentaschen, und unter seiner Mütze quollen weiße, lange Haare hervor. Es gibt Menschen, aus denen tropft förmlich die Musik heraus, egal wo sie sind und was sie auch tun. Ich glaube, er war so einer. Und man weiß nicht, woher die Musik eigentlich kommt, sie scheint eine der alten Kräfte zu sein und wenn sie da ist, sucht sie sich einen Resonanzboden in Menschen, die sich ihr hingeben, mit Haut und Haar. Man kann es erkennen, da ist dieser Blick, der aus der Unendlichkeit zu kommen scheint und in unbestimmbare Weiten führt. Neugeborene haben ihn und Sterbende und MusikerInnen. Und es kommt dieser Blick aus einem Körper, der sich diesem Strom hingibt und überfluten läßt. Meist ein leicht glasiger Blick aus einer anderen Welt. David Crosby hatte diese warmen, sanften Augen, die aufblitzten, wenn die Harmonien gelungen waren. In den letzten Jahren liefen manchmal Töne heraus und neben dem Strom her, wie ein Rinnsal, das aber bald wieder zurück kehrt und sich mit dem Fluß vereint. Fast meine ich, daß es gewollt war, denn er hatte auch in seinen späten Jahren als alter Mann eine wundervolle Stimme und spielte Gitarre wie ein junger Gott. Ich höre mich durch die Alben seines Lebens und bin immer noch überwältigt von diesen engelsgleichen Gesängen, es zieht mir immer noch den Boden unter den Füssen weg, wenn ich „Helplessly Hoping“ höre und die vielen Variationen von „Guinevere“, u.a. mit der kongenialen Band „Venice“, alle mit perfekten Gesangsharmonien. Wobei mir da die alte Version mit Crosby/Nash am meisten unter die Haut geht, wahrscheinlich auch wegen dieser liebevollen Verbundenheit, die sie miteinander teilten, wenn sie sich anschauten und diese unglaublich schwer zu singenden Harmonien bewältigt hatten.
Ich kenne dieses Lied bereits ein Leben lang und er hat es auch als alter Mann mit so einer Hingabe gesungen, daß ich heute genau wie früher zu träumen beginne und mit Guinevere in den Garten gehe „in the morning after it rained“…
ES hat aus ihm gesungen ein Leben lang. Und das trotz größter zwischenmenschlicher Tragödien, Alkohol- und Drogenexzessen. Er war aufmüpfig, rebellisch und hat sich von keinerlei Gesetzmäßigkeiten in die Knie zwingen lassen, nicht mal von schwersten Krankheiten. Er ist immer wieder auf die Bühne und bis zum Ende seines Lebens hat er an neuen Songs gearbeitet. Aber jetzt ist er gegangen, der Tod läßt nicht mit sich reden.
Auch das letzte Album von David Crosby, vor paar Jahren aufgenommen, ist für mich ein Meisterwerk. Ich habe das Gefühl, da singt einer ganz entspannt ein paar Lieder, die ihm gefallen. Er muß niemandem was beweisen, er macht Musik, weil er das mag, weil er Freude daran hat, einfach so. Und da ist dieses wunderbare Lied von Joni Mitchell und das singt er von ihr und für sie und seine Platte nennt er auch so.
Und dann höre ich auch meinen Vater wieder, sie hätten nicht verschiedener sein können … und doch …
„He was playing real good,
for free.“
I don’t like greed, I don’t like ignorance. I really don’t like anger. But I love love.
– David Crosby
Really!
Mehr braucht man dazu nicht sagen.
Danke lieber Fuchs!
Eine wunderbare Hommage auf David, liebe Margarete. Sein bisweilen „glasiger“ Blick hatte tatsächlich oft etwas mit seinem Drogenproblem zu tun😊. Unvergessen bleibt mir eine Szene: nachdem die Band (Crosbx, Stills, Nash) ihren Liveauftritt bereits beendet hatte, musste ihn Graham Nash sanft von der Bühne wegführen, weil Crosby partout das Ende der Vorstellung verträumt verschlafen hatte. „Helplessly Hoping“ ist ein Song aus Stephen Stills Feder. Natürlich wurde der Song in den unterschiedlichsten Sängerkombinationen gesungen.
Liebe Grüße
Achim
Was für eine wundervolle kleine Anekdote, genauso hätte ich ihn eingeschätzt. Dankeschön und viele Grüße auch an Dich, lieber Achim!
Tolles Foto und berührender Nachruf auf David Crosby.
Danke fürs Teilen
The Fab Four of Cley
🙂 🙂 🙂 🙂